Nilanthini Vijayakumar

Verkäuferin

Nilanthini Vijayakumar lächelt in die Kamera.

«Ich kann alles, was andere auch können»

Die gehörlose Coop-Mitarbeiterin Nilanthini Vijayakumar arbeitet seit vergangenem Sommer in der Coop-Verkaufsstelle in Unterägeri ZG. Sie beweist mit Zielstrebigkeit und ihrer täglichen Arbeit an der Verkaufsfront, dass Gehörlosigkeit kein Hinderungsgrund für irgendetwas ist.

«Wo finde ich den Johannisbeergelee?», fragt eine Kundin im Coop-Supermarkt Unterägeri Zug. Die 34-jährige Nilanthini Vijayakumar streckt ihr freundlich lächelnd das Mobiltelefon entgegen. Kaum hat die Kundin das gesuchte Produkt eingetippt, sind die beiden auch schon hinter dem nächsten Regal verschwunden. Bis auf ein Hilfsmittel ist alles ganz normal. Dieser Meinung ist auch Vijayakumar und lässt von der Dolmetscherin übersetzen: «Ich kann alles ausser hören und sehe mich nicht als Person mit einer Behinderung!»

Nilanthini Vijayakumar wurde in eine hörende Familie hineingeboren: «Meine Eltern wussten bis zu meiner Geburt nicht, dass ich gehörlos bin.» Sie erlernten die Gebärdensprache. Gehadert mit ihrer Situation habe sie nie. «Wieso auch, ich sehe zwischen mir und anderen Personen keinen Unterschied», betont sie, die einst ihre Ausbildung in der Coop-Verkaufsstelle in Crissier VD absolvierte. «Ich habe mir verschiedene Berufe angesehen und mich, weil ich gerne mit Menschen agiere, für den Detailhandel entschieden. Dabei hat mir der Schnuppertag bei Coop am besten gefallen.» Erschwerte Bedingungen? Fehlanzeige! Nach der Ausbildung arbeitete Vijayakumar im Coop-Supermarché in La Tour-de-Peilz VD.

Mit «Händen und Füssen»

Seit Juli 2022 ist «Nila», wie sie von ihren Teamkolleginnen und -kollegen genannt wird, im Coop in Unterägeri tätig. Der 30-jährige Geschäftsführer Marco Waldvogel ist voll des Lobes: «Ich habe mich zu Beginn gefragt, wie das Bedienen der Kundschaft und die Zusammenarbeit klappen sollen. Doch mit ‹Händen und Füssen› hat es von Anfang an sehr gut funktioniert. Auch deshalb, weil Nila bereits eine sehr hohe Fachkompetenz mitgebracht hat.»

Ein paar wenige Abmachungen mussten aber trotzdem getroffen werden: «Im Falle eines Alarms trägt Nila ein Telefon auf sich, das vibriert.» Ausserdem musste die Stehinfo etwas anders organisiert werden: So sendet Waldvogel seiner gehörlosen Mitarbeiterin die Informationen jeweils noch in schriftlicher Form zu. «Wir haben ausserdem gemeinsam ein Heft mit den wichtigsten Gebärden zusammengestellt, auf das alle Mitarbeitenden Zugriff haben», so der Geschäftsführer, und Vijayakumar fügt dankbar an: «Die Menschen hier sind toll und begegnen der etwas anderen Kommunikation mit viel Offenheit.» Für komplexere Gespräche zieht Vijayakumar eine Dolmetscherin hinzu.

Die Menschen hier sind toll und begegnen der etwas anderen Kommunikation mit viel Offenheit.

 

Den Röstigraben überwunden

Also alles kein Problem und keine Wünsche offen? «Nein, das nicht, ich wünsche mir, dass Gehörlosen dieselben Informationen zugänglich gemacht werden wie Hörenden», so Vijayakumar. Die SBB helfen beispielsweise, indem sie Verspätungen auf den Tafeln anzeigen und nicht nur via Lautsprecher informieren. «Zudem wäre es schön, wenn noch mehr Führungskräfte gehörlose Personen anstellen würden. Insgesamt ist es ein Prozess, bei dem sich die Gesellschaft verändern muss», ist Vijayakumar überzeugt.

Veränderungen gab es im Leben der 34-Jährigen im vergangenen Jahr reichlich. So hat Vijayakumar, die in ihrer Freizeit gerne in den Bergen wandert, Freunde trifft, kocht, «böötlet» und Restaurants besucht, nicht «nur» den Arbeitsort gewechselt. Nein, die Westschweizerin hat das getan, was auch für viele Hörende kein einfaches Unterfangen ist: Sie hat den Röstigraben überwunden. Aber wie kommt man dazu, von der Westschweiz in die Deutschschweiz zu ziehen? «Pourquoi pas?», fragt Vijayakumar zurück. «Mein Ziel ist es, Deutsch zu lernen.» Nur in Französisch kann Vijayakumar von den Lippen ablesen. Bei der Frage nach persönlichen Zielen wird jedoch klar, dass nicht nur die deutsche Sprache Motivation zur Überwindung des Röstigrabens war. «Familie», antwortet Vijayakumar rasch und fügt erklärend an, dass sie und ihr gehörloser Partner aus der Deutschschweiz im Frühling ein Kind erwarten. Die Liebe bleibt einer der schönsten Gründe, um Grenzen zu überwinden.

 

Erfahre mehr über Diversität und Inklusion in der Coop Gruppe